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Die Interimslösung für das Reichsgebiet
(März 1924 – März 1926) 

Gerade der zunächst nur unmittelbar hergestellte Einfluß der Reichsbehörden auf das neue Medium erwies sich jedoch schon bald als unzureichend für die staatlichen Interessen und sollte die erste Rundfunkordnung noch zu Fall bringen, bevor die Gründung der neun geplanten Regionalgesellschaften abgeschlossen war.

Bereits anläßlich von notariellen Verhandlungen zur Namensänderung der dem RMI nahestehenden politischen Sendegesellschaft, die ursprünglich nur AG für Buch und Presse geheißen hatte und erst am 16. Oktober 23 ihren neuen Namen erhielt, stellte sich nämlich heraus, daß diese Gesellschaft im Mai 1923 zwar im Einvernehmen und mit finanzieller Unterstützung des seinerzeitigen deutsch-demokratischen RMI entstanden war, daß ihre alleinigen Anteilseigner jedoch zu 60% der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Preußischen Landtag, Ernst Heilmann, und nur zu 40% der schon erwähnte (ohnehin als Radikaldemokrat geltende) Ministerialrat im RMI, Kurt Haentzel waren. Da die Konzessionierung der DRADAG als politischer Sendegesellschaft zudem von einem mittlerweile sozialdemokratisch geführten RMI vorangetrieben und durchgesetzt worden war, erschien die ganze Konstruktion dem im Oktober 23 christlich-national geführten RPM suspekt. Noch vor Eröffnung des regelmäßigen Sendebetriebs mutmaßte man hier den Versuch einer Linksunterwanderung des Rundfunks:

"Als (…) bekannt wurde, daß die DRADAG zwar mit dem Einverständnis des damaligen RMI Richard Oeser, aber ohne direkte Beteiligung seines Amtes gegründet worden war, witterte die Post einen geschickten Vorstoß der Parteikreise, die Heilmann vertrat, und denen Haentzel nahestand. Sie hatte sich schon bei der Formulierung der beiden Konzessionen für die Tätigkeit der Funkstunde (der Berliner Regionalgesellschaft, d. Verf.) vorgesehen, und die Konzessionsträger auf das Sendegebiet dieser Berliner Gesellschaft beschränkt. Die Verträge für die übrigen Gesellschaften waren (…) nur in Aussicht gestellt worden."[*]

Damit hatte im Oktober 1923 zwar der regelmäßige Programmbetrieb in Berlin als gemeinsames Unternehmen von DRADAG und Deutscher Stunde aufgenommen werden können, so daß auch den Propagandainteressen des RMI bereits Rechnung getragen schien. Als beide Urgesellschaften des Rundfunks – entsprechend ihrer im Durchführungsvertrag vom 12.10.23 getroffenen Vereinbarungen – Anfang 1924 begannen, auch die Regionalgesellschaften außerhalb Berlins als gemeinsame Tochterunternehmen aufzubauen, verweigerte das RPM jedoch, um der gemutmaßten Linksunterwanderung durch die DRADAG Einhalt zu gebieten, eine Lizenzierung dieser Gesellschaften und verhinderte damit die Übertragung des Berliner Rundfunkmodells auf das Reichsgebiet.

Wieder wurde verhandelt, diesmal jedoch unter veränderten Vorzeichen[*]. Als Reaktion auf die durch Reichskanzler Stresemann angeordnete gewaltsame Absetzung der sog. Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen durch die Reichswehr im Oktober 1923 waren nämlich bereits Anfang November 23 die sozialdemokratischen Minister aus der im August des Jahres gebildeten Großen Koalition ausgetreten, die dann Ende November schließlich durch einen Mißtrauensantrag der SPD gestürzt wurde. Das daraufhin gebildete neue Kabinett Marx, das auch die Neuwahlen 1924 unbeschadet überstehen sollte, war wieder frei von Sozialdemokraten, und der neue RMI, der aus den Reihen der Deutschen Volkspartei (DVP) kommende Karl Jarres, stand den Befürchtungen des RPM natürlich erheblich aufgeschlossener gegenüber, als sein sozialdemokratischer Vorgänger.

Unter diesen Bedingungen gelang es dem RPM noch im Frühjahr 1924, eine vorläufige Interimsorganisation für die regionalen Programmgesellschaften außerhalb Berlins durchzusetzen, die die befürchtete Linksunterwanderung des Rundfunks durch die DRADAG weitgehend ausschloß.

Zunächst einmal verlangte und erhielt das RPM von den beiden Urgesellschaften des Rundfunks, als Vorleistung für eine Konzessionierung des regionalen Sendebetriebs ihrer Tochterunternehmen, einen eigenen 17%-igen Stimmanteil an den regionalen Gesellschaften, so daß die 51%-ige Stimmenmajorität in den Aufsichtsräten dieser Unternehmen jetzt zu gleichen Teilen von je einem Vertreter der Deutschen Stunde (Ludwig Voss), der DRADAG (Ernst Heilmann) und des RPM (Ministerialrat H. Giesecke) ausgeübt wurde, und damit der Einfluß der DRADAG erheblich geschmälert war.

Darüber hinaus erhielten die Regionalgesellschaften (mit Ausnahme der Deutschen Stunde Bayerns[*]) dann nicht, wie noch die Berliner Gesellschaft, vermittelt über die beiden Urgesellschaften, sondern direkt vom RPM eine vorläufige Sendegenehmigung. In Erwartung einer formellen Lizenz konnten sie so zwar im Frühjahr und Sommer 1924 den regelmäßigen Sendebetrieb aufnehmen, laut Schreiben des RPM vom 17.3.24 waren sie dabei jedoch ebenso an Weisungen des RPM gebunden, wie an die Bestimmungen der Berliner Konzessionsverträge der beiden Urgesellschaften. Zudem durften sie an keine dieser beiden Gesellschaften Aktien ausgeben, so daß der Durchführungsvertrag zwischen DRADAG und Deutscher Stunde vom Oktober 23 für die Programmgesellschaften außerhalb Berlins keine Geltung erlangen konnte, und die weitere Aktivität der DRADAG praktisch blockiert war.

Abbildung: Interimslösung für das Reichsgebiet ohne Berlin und Bayern
Bild: Interimslösung für das Reichsgebiet ohne Berlin und Bayern

Durch diese Interimsorganisation waren die Regionalgesellschaften zunächst in unmittelbare Abhängigkeit vom RPM gestellt, während die Einflußmöglichkeiten des RMI auf die Programmproduktion vorerst auf die in den Lizenzverträgen vom November 23 festgelegte Vorzensur der politischen Programmteile, also auf eine bloß passive Kontrolle beschränkt blieben. Damit konnte sie den nach wie vor bestehenden Propagandainteressen des RMI[*] auf Dauer natürlich nicht gerecht werden, für die von nun an wieder sozialistenreinen Reichsregierungen Marx (Dezember 23 – Dezember 24 und Mai – Dezember 26) und Luther (Januar 25 – Mai 26) bot sie jedoch den notwendigen politischen und zeitlichen Spielraum für eine grundlegende "Neu"-Regelung des Rundfunks.

Vor dem Hintergrund der im Winter 23/24 allmählich einsetzenden wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung konnte im Laufe der folgenden zwei Jahre schließlich eine Rundfunkorganisation errichtet werden, die sowohl die wirtschaftliche Kontrolle des Mediums durch die Reichspost und damit –regierung, als auch seine Nutzung als politisches Propagandainstrument für Reichs– und Länderregierungen gewährleistete, ohne daß hierdurch in der Öffentlichkeit der Mythos von der politischen Neutralität des Rundfunks, wie er von den regierenden Parteien der rechten Mitte gefordert und durch die Rundfunkorganisation vom Oktober 23 produziert worden war, zerstört worden wäre.


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