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Der ARBD wird ‘auf Linie’ gebracht 

Wie aus einem Bericht des ARBD für die Arbeiter-Radio-Internationale hervorgeht[*], orientierte sich der sozialdemokratische Vereinsvorstand in seiner praktischen Politik recht bald an den in den Kieler "Richtlinien" vorgegebenen Mitwirkungsmöglichkeiten am Rundfunk, so daßsich seine Aktivitäten, abgesehen von der Organisierung einer "Protestbewegung gegen eine geplante Rundfunkgebührenerhöhung"[*], im wesentlichen auf die Mitarbeit in den vom Sozialistischen Kulturbund ins Leben gerufenen Programmausschüssen und die Unterstützung der durchweg sozialdemokratischen ‘Arbeitervertreter’ in den Überwachungsausschüssen zielten[*]. Nur sehr vorsichtig und allmählich wurde jedoch versucht, die programmatischen Positionen des ARBD denen der Sozialdemokratie anzugleichen, d.h. jenen Positionen innerhalb des Vereins eine Absage zu erteilen, die über die in den "Richtlinien" formulierten Reformvorstellungen hinausgingen: den Forderungen nach einem eigenen Arbeitersender und nach einem Hörerparlament.

Verfolgt man die Beiträge des NRF, so scheint sich auch nach der Kieler Konferenz zunächst nur wenig zu ändern. Noch im Juni 1927 werden in einem Leitartikel über "Unsere Bestrebungen und Ziele"[*] weitgehend die im Vorjahr entwickelten Vorstellungen vertreten. Zwar wird hier die im Jahr zuvor als langfristiges Ziel noch häufig genannte Forderung nach einem Arbeitersender schon nicht mehr erhoben; auch wird betont, daß aufgrund der Vereinsaktivitäten die Programme der Sendegesellschaften sich schon erheblich verändert hätten, so "(…) daß einzelnen rückständigen Vorträgen ein Gegengewicht geboten werden konnte."[*] Zugleich wird aber auch hervorgehoben, daß dies nur ein "Tropfen auf den heißn Stein"[*]darstelle und darüber hinaus auch eine organisatorische Umgestaltung des Mediums notwendig sei, nämlich die Einrichtung eines Radio-Parlaments:

"Unser Bestreben geht viel weiter. Wir wollen nicht allein, daß Arbeitervertreter im Rundfunk sprechen, sondern wir wollen ein Parlament der Rundfunkhörer, daß systematisch und auf paritätischer Grundlage die Programme bestimmt."[*]

Erheblich weniger weit geht da schon ein Leitartikel Curt Baakes vom September 1927, in dem unter dem bezeichnenden Titel "Die Arbeiterschaft will mitwirken"[*] fast nur noch die in den "Richtlinien" der SPD formulierten Positionen als Zielsetzung des ARBD ausgegeben werden. Das Radio, so heiß es hier, weitgehend sogar wortgleich mit den "Richtlinien", dürfe nicht länger "einseitig kapitalistisch-bürgerlichen Interessen" dienen und achtlos an der "Ideen- und Gefühlswelt der Arbeiterschaft" vorbeigehen. Zwar müße der Rundfunk überparteilich sein, überparteilichkeit dürfe jedoch nur so verstanden werden, "(…) daßer alle Richtungen und Parteien zu Wort kommen läß und keine bevorzugt."[*](76) Und ebenso wie in den "Richtlinien" soll die Berücksichtigung der Arbeiterschaft im Radio hier nicht mehr durch eine grundlegende organisatorische Umgestaltung des Mediums, sondern durch die dreifache Mitarbeit der Arbeiterschaft erzielt werden:

"Um diese ihr Elementarrecht bei den maßgebenden Stellen durchzusetzen, mußdie Arbeiterschaft am Rundfunk mitarbeiten, wo sich nur eine Gelegenheit bietet; so durch zielbewuße Radiokritik (…), durch Vertretung in den Überwachungsausschüssen und Kulturbeiräten und nicht zuletzt durch die Aufstellung bestimmter Programme."[*]

Auch die hier formulierten Vorstellungen über die konkrete Gestaltung dieser Mitarbeit am Rundfunk sind eng an die "Richtlinien" angelehnt, so daß auch Baake für die Kulturbeiräte "(…) in erster Linie eine Erweiterung ihrer Rechte und Aufgaben"[*] fordert, da sie ansonsten nur eine "noch völlig ungenügende Form der Vertretung der breiten Hörermasse"[*] bildeten. Obwohl hier der Begriff ‘Parlament’ im Zusammenhang mit einer Reform der Kulturbeiräte schon tunlichst vermieden wird, wagt Baake die Forderung nach einem Hörerparlament jedoch noch nicht vollständig zu ignorieren. So schreibt er, wenn auch sehr allgemein:

"Die Arbeiterschaft sollte (!) fordern, daß ihr als der unbestrittenen Mehrheit der Hörer eine entsprechende Vertretung in den entscheidenden Körperschaften zukommen soll. Bisher ist der organisatorische Aufbau des Rundfunks weniger vom Geist der Demokratie als dem des privaten Monopols getragen. (…) Auch für die Gemeinde der Rundfunkhörer sollte der Paragraph 1 der Reichsverfaßung sinngemäß(!) gelten: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus."[*]

Wiederum einen Schritt weiter in Richtung Revision der ARKD-Programm-Kritik geht im Januar 1928 Fritz Segall in seinem Beitrag "Arbeiterradiobewegung"[*], der – erstmals in der, mittlerweile in "Arbeiterfunk. Der neue Rundfunk." (AF) umbenannten Vereinszeitschrift[*] – offen gegen die alte Forderung nach einem Arbeitersender Stellung bezieht, wobei sich seine Argumentation weitgehend mit der R. Weimanns auf der Blankenburger Konferenz deckt. So schreibt Segall:

"Die Forderung nach einem eigenen Arbeitersender ist unter den heutigen Verhältnissen abzulehnen. Viel wichtiger dagegen ist es für die Arbeiterschaft, durch den Sender zu Wort zu kommen, von dem aus Millionen politisch indifferenter und bislang anders eingestellter Hörer erfaßt werden können."[*]

Der bürgerliche Charakter der Radioprogramme ergibt sich für Segall weniger aus dem Umstand, daß die Organisation des Mediums vom ‘Geist des privaten Monopols’ getragen sei, wie Baake meinte, als vielmehr aus dem Regierungseinfluß auf den Rundfunk. Zwar seien auch die Sendegesellschaften "zum größen Teil (…) reaktionär eingestellt", zum Teil müße man aber auch feststellen,

"(…) daß einige Sendedirektoren den Forderungen der Arbeiterschaft Zugeständnisse machen würden, wenn ihre Umgebung und vor allem die sonst durchaus entgegenkommenende ReichsRundfunkgesellschaft nicht bestimmten reichsministeriellen Einflüssen ausgesetzt wäre, die eine gerechte und gute Lösung der Programmfragen unmöglich machen."[*]

Trotz dieser Erkenntnis ist Segall jedoch weit davon entfernt, eine Reorganisation des Rundfunks zu fordern, um diesen dem Regierungseinfluß zu entziehen und stattdessen einer direkten oder über das Parlament vermittelten Kontrolle der Hörerschaft zu unterstellen. Da die Reichsregierung die Kontrolle über den Rundfunk ausübt, reduziert sich der Kampf um das Medium für ihn vielmehr auf den Kampf um die politische Macht im Staate:

"Die Sender sind Reichseigentum; die Behandlung der Sendeprogramme ist also eine Frage der politischen Macht. Sie wird in dem Maß von uns gelöst, wie die Arbeiterschaft Einfluß auf den Sender gewinnt. Die kommenden Neuwahlen im Reichstag werden auch hier die in jeder Hinsicht notwendige Veränderung bringen."[*]

Nach den Reichstagswahlen vom Mai 1928 – die tatsächlich, wie von Segall prophezeit, wieder zu einer Regierungsbeteiligung der SPD führten und den Sozialdemokraten Carl Severing ins RMI einziehen ließen[*] – versuchte der Reichsvorstand des ARBD dann endgültig, die Programmatik des Vereins auf die in den "Richtlinien" fixierten rundfunkpolitischen Positionen der Sozialdemokratie festzulegen. Am 3. August 1928 veröffentlichte der AF einen, ebenfalls mit "Richtlinien" titulierten Programmentwurf des Reichsvorstandes, der einen Monat später, auf der 4. Reichskonferenz des ARBD verabschiedet werden sollte.[*] In ihrer politischen Ausrichtung entsprachen diese "Richtlinien" natürlich weitgehend denen des Sozialistischen Kulturbundes vom Vorjahr, die zum Teil sogar wortgleich übernommen worden waren. Ergänzend kam allerdings noch ein besonderer Abschnitt über die technischen Aufgaben des Vereins hinzu, in dem auch erneut die Forderung nach Erteilung einer Genehmigung für Kurzwellenversuchssender erhoben wurde. Zudem enthielt das ARBD-Papier, anders als die SPD-Richtlinien, auch die von der 3. Reichskonferenz verabschiedeten Forderungen nach Gebührensenkung und Gebührenbefreiung für Arbeitslose und Schwerbeschädigte sowie eine – allerdings eher vage gehaltene – Absage an die Zensur im Rundfunk:

"Die bisherige Art (!) der Zensur auf Grundlage des Neutralitätsprinzips ist abzulehnen. Wir fordern:

Kein Rundfunkvortrag darf wegen seiner politischen, sozialen, religiösen oder ethischen Weltanschauungstendenz abgelehnt werden. Die Vorträge können in freier Rede gehalten werden, wenn(!) der Redner schriftliche Richtlinien eingereicht hat."[*]

Deutlicher noch als in den Kieler Richtlinien war jedoch in dem Programmentwurf des ARBD-Vorstandes die Ablehnung einer grundlegenden organisatorischen Umgestaltung des Rundfunks formuliert. Schon einleitend wurde hier der alten Forderung nach einem eigenständigen Arbeitersender, wenn auch nur implizit, eine Absage erteilt, denn:

"Entscheidend für den Einfluß der Arbeiterklasse auf die Sender ist ihre politische Macht. Ist diese Macht stark genug, so vermag sie auch den bestehenden (!) Rundfunk in seiner Gesamtheit so zu ändern, daß in allen Rundfunkstellen, einschließlich der Sendeleitungen, die Vertreter der Arbeiterschaft die gebührende Einwirkung ausüben.

Bevor dies voll erreicht ist, hat der Rundfunk in seinen Darbietungen die kulturellen Forderungen der Arbeiterschaft ganz besonders zu berücksichtigen. (…) Vom Zusammenschluß der Arbeiterhörer, von den Aktivitäten der Arbeiterorganisationen wird es abhängen, wie lange der Rundfunk die Ideen- und Gefühlswelt der Arbeiterschaft unberücksichtigt läßt (…)"[*]

Diese Argumentation war freilich klassisch sozialdemokratisch: Die Veränderung des "Rundfunk(s) in seiner Gesamtheit" im Interesse der Arbeiterschaft wird zwar prinzipiell keineswegs abgelehnt. Da der Arbeiterschaft die politische Macht fehle, sie durchzusetzen, wird jedoch auch kein weiterer Gedanke an sie verschwendet. Stattdessen "soll" der Rundfunk die kulturellen Forderungen der Arbeiterschaft "ganz besonders" berücksichtigen. Dies muß wie man feststellt, zwar auch von der Arbeiterschaft durchgesetzt werden, ist mithin also auch von ihrer "politischen Macht" abhängig; der Gedanke, daß die politische Macht der Arbeiterschaft dann auch gleich für die Umgestaltung des Rundfunks in seiner Gesamtheit statt für die Durchsetzung der "Berücksichtigung" ihrer kulturellen Forderungen eingesetzt werden könnte, ist jedoch tabu. Stattdessen wird auch hier die Durchsetzung der Forderungen der Arbeiterschaft im bestehenden Rundfunk lieber in "Mitarbeit am Rundfunk" uminterpretiert:

"Um ihre Rechte bei den maßebenden Stellen durchzusetzen, müßte die Arbeiterschaft am Rundfunk mitarbeiten."[*]

Ebenso wie in den "Richtlinien" des Sozialistischen Kulturbundes soll diese Mitarbeit auch hier sowohl durch "zielbewußte Radiokritik"[*]und die "Aufstellung bestimmter Programme"[*] , als auch durch "Vertretung in den Überwachungsausschüssen und Kulturbeiräten"[*]erfolgen, wobei für letztere wiederum "(…) in erster Linie eine Erweiterung ihrer Rechte und Aufgaben"[*]gefordert wird. Darüber hinaus wird hier zwar immerhin noch verlangt:

"Überwachungsausschüsse und Kulturbeiräte sollen in der Art ihrer Zusammensetzung eine genügende Vertretung der breiten Hörermasse darstellen. Ihre Ernennung(!) soll auf Grund der Vorschläge der Kulturorganisationen erfolgen."[*]

Auch taucht erneut die Floskel Baakes vom "Geist der Demokratie" auf, der den organisatorischen Aufbau des Rundfunks tragen solle[*]. Eine Umwandlung der regierungsabhängigen, staatlichen Überwachungsgremien, in öffentlich kontrollierte und gewählte, gesellschaftliche Aufsichts- und Mitbestimmungsorgane des Rundfunks wird jedoch, anders als in den SPD-Richtlinien, sogar explizit abgelehnt:

"Die Forderung nach einem Parlament der Rundfunkhörer ist abzulehnen, weil von diesem, abgesehen von den Schwierigkeiten seiner Gestaltung, positive Arbeit im Interesse der Arbeiterschaft nicht erwartet werden kann."[*]


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