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Vom Kampf um den Rundfunk 

Eine Realisierung ihrer Vorstellungen von einer ‘anderen’ Gestaltung des Rundfunks - ob nun in Form eines proletarischen Kulturfunks oder als politisch-paritätischer Weltdarstellung – ist für die Autoren des NRF auf Grundlage der Weimarer Rundfunkorganisation, die die Arbeiterschaft von der Gestaltung der Programme ausschließt und damit den bürgerlichen Charakter des Mediums überhaupt erst begründet, natürlich kaum vorstellbar. Voraussetzung für eine Umgestaltung des Rundfunks im Interesse der Arbeiterschaft ist in ihren Augen vielmehr, so Otto Brattskoven im Sommer 1926:

"(…) eine Reform an Haupt und Gliedern, ein absoluter Neuaufbau der Organisation, der es ermöglicht, daß einwandfrei die Masse der Hörer zu ihrem entsprechenden Recht kommt und nicht bis zur Verzweiflung anhören muß, was ihr von einer Gesellschaft in Monopolstellung geboten wird."[*]

Die weitestgehende Forderung in diesem Zusammenhang war dabei sicherlich die nach einem eigenen "Arbeitersender"[*], die schon in dem zitierten Leserbrief an die Rote Fahne erstmals formuliert wurde und die – wenngleich der Verein auch nie entsprechende Beschlüsse gefaßt zu haben scheint[*] – wohl tatsächlich so etwas wie einen "alte(n) Wunsch des A.-R.-K."[*] darstellte. Allerdings kommt dieser Forderung auf Grundlage des vorliegenden Materials keineswegs jene zentrale Bedeutung zu, die etwa Dahl ihr zumißt, wenn er schreibt, daß sie die "(…) politische Argumentation (des ARKD) bestimmte"[*], ``(…) keine taktische Maximalforderung" und zudem auch "(…) 1926 keineswegs so unrealistisch (war), wie sie heute klingt."[*] Tatsächlich war zwar, wie Dahl richtig bemerkt, zu diesem Zeitpunkt ``(…d) ie Organisation des Rundfunks (…) noch nicht abgeschlossen"[*]; wie schon der erste Teil dieser Arbeit deutlich gemacht haben dürfte, bedeutete dies jedoch keineswegs, daß – wie Dahl glaubt- "(…) noch (…) auch Organisationsformen möglich (schienen), in denen Platz für einen Sender der Arbeiterorganisationen gewesen wäre.’’[*]

Die Autoren des NRF jedenfalls, waren da weitaus realistischer: Zwar wird in zahlreichen Beiträgen die Forderung nach einem Arbeitersender aufgestellt, auch berichtet die Zeitschrift ausführlich über Arbeitersender im Ausland[*]; nur ein einziger Verfasser, Richard Kleinelbst ist jedoch auch der Auffassung, daß eine solche Forderung unter den gegebenen politischen Bedingungen auch durchgesetzt werden könnte und deshalb

``(…) der ganze Einfluß der organisierten Arbeiterschaft aufgeboten werden (müßte), einen oder mehr eigene Sender zu schaffen, solange es noch nicht zu spät ist – was sehr bald sein kann."[*]

Für alle anderen Autoren der Zeitschrift ist die Forderung nach einem eigenen Arbeitersender hingegen eher ein "Ideal"[*] oder Fernziel, das zwar, wie z .B. Otto Brattskoven, einer der vehementesten Vertreter dieser Forderung betont, “(…) niemals aus den Augen verloren werden darf”[*], das jedoch unter gegenwärtigen Bedingungen höchstens in Ansätzen, z .B. in Form von eigenständig durch Arbeiterorganisationen gestalteten Programmteilen, realisiert werden könne und daher zunächst hinter den "Erfordernissen des Tages"[*], nämlich der Durchsetzung eines "Mitbestimmungsrecht(s) bei der Zusammensetzung und Durchführung der Programme"[*] zurücktreten müsse. So schreibt Brattskoven z.B.:

"Ungeheuer wichtig ist zuerst einmal, daß Arbeitervertreter in die Kulturbeiräte delegiert werden (…). Ferner muß jetzt mit allem erdenklichen Nachdruck verlangt werden, daß neben der gänzlichen und wöchentlich zweimal stattfindenden Einräumung des Senders für die Interessen der werktätigen Bevölkerung und programmatisch nur von ihr bestimmt, auch die Freidenkerorganisationen (…) Gelegenheit finden, ihren Meinungen neben dem öligen Geschwätz der Pfaffen durch den Rundfunk Gehör zu verschaffen. Nur mit der Vertretung solcher Forderungen kann auch die Basis für einen ausschließlichen Arbeitersender geschaffen werden."[*]

Ähnlich meint auch der Kommunist Klaus Neukrantz, daß es zunächst nur um die Durchsetzung eines "Mitbestimmungs-Gestaltungsrechts"[*] gehen könne. Er schreibt:

"Das Ideal ist der eigene Arbeitersender, der alte Wunsch des A.-R.-K. Ein weiterer Vorschlag, der den Vorzug schnellerer Durchführung hat, sind eigene Volksabende, die regelmäßig von den Sendegesellschaften den Arbeiterkulturorganisationen zur Gestaltung überlassen werden. Der dritte Weg besteht in praktischen Programmvorschlägen, die von hierzu gewählten und geeigneten Ausschüssen vorbereitet und den Funkgesellschaften übergeben werden. Der zweite und dritte Vorschlag scheint mir der gegenwärtig aktuellste und gangbarste Weg zu sein."[*]

Neben der – hier im Gegensatz zum Arbeitersender als realisierbar angesehenen - Forderung nach eigenverantwortlich gestalteten Arbeitersendungen ging es den Autoren des NRF also zunächst vor allem um eine Einflußnahme auf die Programmgestaltung des Weimarer Rundfunks, die sich freilich nicht nur auf Unterbreitung von ‘praktischen Programmvorschlägen’ beschränken sollte. Möglichkeiten für eine Einflußnahme sah man vielmehr – wie schon die zitierte Forderung Brattskovens nach proletarischen Kulturbeiräten zeigt- auch in den staatlichen Überwachungsgremien des Rundfunks.

Schon Dahl hat allerdings feststellen müssen, daß den Vorstellungen, die in diesem Zusammenhang von den Autoren des NRF formuliert wurden, – zumindest anfänglich - erhebliche "Fehleinschätzungen"[*] zugrunde lagen. So erkannte man in den Überwachungsausschüssen und Kulturbeiräten, die im Laufe des Jahres 1926 bei den Sendegesellschaften eingerichtet wurden und über deren offizielle Aufgaben nur allmählich Einzelheiten an die Öffentlichkeit drangen[*], zunächst keineswegs jene staatlichen Zensurgremien, die sie waren. Vielmehr glaubte man, hier würden Vorformen nicht staatlicher, sondern gesellschaftlicher Kontrollorgane geschaffen, die, sofern sie nur richtig besetzt würden, einen Ersatz für ein wirkliches Radio-Parlament bilden könnten. So schrieb z.B. Karl Wilhelm im September 1926 über die Kulturbeiräte:

"Der Siegeszug des demokratischen Gedankens darf und wird nicht vor dem Rundfunk haltmachen. (…) Nun lassen sich gewiß die Formen politischer Demokratie nicht ohne weiteres auf den Rundfunk übertragen. ;aber ähnliche Formen sind auch hier möglich und angebracht. Die Kernzellen eines künftigen Radioparlaments werden die Kulturbeiräte bei den einzelnen Sendegesellschaften bilden können, wenn sich ihre Zusammensetzung einigermaßen mit den kulturellen und politischen Schichtungen des deutschen Volkes, vor allem seines dem Rundfunk angeschlossenen Teiles deckt. (…) Zu diesen Kulturbeiräten werden die Rundfunkhörer dann auch Vertrauen haben, an diese ihre Vertrauensleute werden sie sich mit ihren Wünschen und Beschwerden richten und bei ihnen werden sie auch Verständnis finden."[*]

Zwar wird in einem anderen Artikel des NRF noch gefordert, daß die Berufung der Kulturbeiräte "(…) unter Mitarbeit der am Rundfunk stark interessierten breiten Öffentlichkeit vor sich zu gehen habe (…)"[*] und deshalb die Kandidaten vor ihrer Ernennung öffentlich ``(…) zur Diskussion zu stellen seien (…)"[*]. An dem, was die Kulturbeiräte und Überwachungsausschüsse wesentlich von gesellschaftlichen Kontrollorganen unterschied, nämlich der Tatsache, daß sie gerade nicht vorn Parlament oder gar den Rundfunkhörer selbst gewählt, sondern von Reichs- und Landesregierungen nur ernannt wurden, störten sich die Autoren der Zeitschrift jedoch zunächst nicht.

In Bezug auf die Kulturbeiräte begann man jedoch im Herbst 1926 allmählich klarer zu sehen, und zwar nicht nur wie Dahl glaubt, an der Basis des ARKD, bei der "Mehrheit der Mitglieder"[*], sondern auch unter den Funktionären und in der Zeitschrift des Vereins. Im Oktober fordert so der Vorsitzende Hoffmann auf der bereits erwähnten Berliner Rundfunkhörerversammlung des ARKD immerhin schon ein Mitbestimmungsrecht bei der Ernennung der Kulturbeiräte:

"Die Zusammensetzung der Kulturbeiräte darf nicht dem Ermessen einzelner Ministerialstellen überlassen bleiben. Ein Vorschlags- und Mitbestimmungsrecht muß von den Arbeiterorganisationen errungen werden."[*]

Und Karl Wilhelm geht in dem Bericht über diese Veranstaltung im NRF sogar noch weiter und verlangt eine Wahl der Beiräte durch die Hörer bzw. durch deren Kulturorganisationen:

"Sie (die Kulturbeiräte) werden erst dann als vollgültiger Ersatz für ein Radio-Parlament anzusehen sein, wenn ihre Mitglieder nicht ‘ernannt’, sondern von den Kulturorganisationen der Hörer gewählt werden und wenn sie diesen gegenüber für ihre Tätigkeit verantwortlich sind."[*]

Weitgehend unverändert blieb hingegen die Fehleinschätzung der politischen Überwachungsausschüsse. Da man hier staatlicherseits, wie der NRF anerkennend feststellt, "eine verhältnismäßig gute Wahl"[*] der Mitglieder vorgenommen hatte – auch Sozialdemokraten, wie z.B. der dem Leser schon aus dem ersten Teil dieser Arbeit bekannte Ernst Heilmann beim Berliner Sender, waren vertreten[*] – hoffte man hier anfangs sogar nicht nur, daß diese Gremien die politische Neutralität der Darbietungen sichern könnten, sondern erwartete von ihnen sogar positive Vorschläge für eine politisch-paritätische Programmgestaltung:

"Wir haben seit Bestehen unserer Zeitschrift stets darauf hingewiesen, wie fadenscheinig dieser Begriff der politischen Neutralität stets nur gegen die politische Linke zur Anwendung gekommen ist, während die Reaktion ungehemmt ihr Gift ausstreuen konnte. Hier eröffnet sich den politischen Überwachungsausschüssen ein reiches Arbeitsfeld. (…) So wichtig die(se) negative Betätigung des Überwachungsausschusses auch ist, so wird er nach unserer Meinung erst dann seiner Aufgabe ganz gerecht, wenn er positiv durch konkrete Vorschläge (Vortragsthemen, und Referenten) die Programmgestaltung beeinflußt."[*]

An dieser Haltung änderte sich auch nichts durch die negativen Erfahrungen, die man mit diesen staatlichen Zensurorganen in der Praxis machte. Zwar mußte der NRF im Januar ’27 konstatieren, daß ``(…) die politische Neutralität und Parität (…) noch immer nicht gesichert (ist)."[*] Ebenso wie anfangs bei den Kulturbeiräten sah man den Grund hierfür jedoch nicht etwa in der Staats- bzw. Regierungsunabhängigkeit des Überwachungsausschuß, sondern darin, daß dieses Gremium keine ausreichenden Befugnisse habe. So schreibt z . B. Walter Baake:

``Wir haben die politischen Überwachungsausschüsse, aber ihre Funktionen sind so eng umgrenzt, daß von ihrer Tätigkeit kaum etwas zu spüren ist, weder negativ, noch – was viel wichtiger wäre – positiv."[*]

Und auch Klaus Neukrantz meint:

"Ein Blick in die Vorträge der Funkgesellschaften zeigt uns die engen Grenzen dieser von der Regierung geschaffenen Institution."[*]


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